
Seit 2017 ist Mary in der BDSM- und Fetisch-Szene unterwegs.
Davor lagen lange
Jahre des Zweifelns
und der Unsicherheit,
denn ihre Vorlieben entdeckte sie
bereits in früher Kindheit.
Ihr Antrieb: Niemand
soll diese Phase
des Zweifelns –
diesen «Struggle»
durchleben müssen.
Deshalb teilt Mary seit Anfang 2023 ihr
Wissen und ihre persönlichen
Erfahrungen zu Fetischen und BDSM
auf Instagram, YouTube und TikTok.
Für ein Kink-positives Leben und Miteinander.
@mary_ellxn
Latex: Zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit
«Gilt ein Latex-Catsuit auch als ‚Textil‘?» fragte ein Freund von mir spaßeshalber in unserer Chatgruppe. Wir planen, mit ein paar Freunden in eine Sauna zu gehen, und wollen sicherheitshalber auch Kleidung für die Textil-Sauna mitnehmen. Ich habe schon oft mitbekommen, dass es ein häufiger Wunsch in unserer Community ist, in Latex zu saunieren, im Pool zu schwimmen oder am Strand zu spazieren. Auf der Pleasure Bay ist das natürlich problemlos möglich, denn dort habt ihr ein komplettes Hotel auf Kreta für euch alleine - doch wenn ihr nicht gerade dort seid, stellt uns die Auslebung solcher Wünsche im öffentlichen Raum vor einige Schwierigkeiten: Die Abwägung zwischen persönlicher Freiheit und Rücksichtnahme auf die Öffentlichkeit ist komplex – ein Thema, das weit über den Saunabesuch hinausgeht: Wo sind die Grenzen? Zwingen wir Menschen unsere Sexualität auf? Und wie viel muss die Öffentlichkeit auch einfach mal abkönnen? Rechtlich gesehen ist Latex meist unproblema- tisch, solange keine expliziten sexuellen Handlungen stattfinden. Für den Sauna- oder Poolbesuch reicht die Beachtung der Hausregeln aus. Doch auch ohne rechtliche Konsequenzen bleibt die Frage nach sozialer Akzeptanz und Konsens bestehen. Ein Grundsatz der Community ist, dass nichts ohne Konsens stattfinden darf. Die Konsequenz ist, dass im Prinzip alle Menschen, die in Sichtdistanz sind, nach Konsens gefragt werden müssten. Dies ist insbesondere bei Menschen relevant, die beispielsweise Zeug*innen eines Latex-Fotoshootings oder einer Session im öffentlichen Raum werden könnten. Wer komplett auf der sicheren Seite sein will, der sollte dies ausnahmslos tun; denn selbst wenn etwas gesetzes- oder hausregelkonform ist, ist die Sicherstellung des Konsens natürlich richtig. Es gibt meiner Meinung nach jedoch ein paar Fälle, die nach eigenem Ermessen eine Abweichung von diesem Grundsatz zulassen. Um diese Fälle zu betrachten, stellt euch bitte vor, dass ein Latex-Fotoshooting in Heavy Rubber inkl. Maske stattfindet. Hier liegt möglicherweise ein starker Fetischbezug vor, aber es finden keine konkreten sexuellen Handlungen statt. Der einzige Unterschied ist der Ort der Aufnahme:
A: Das Fotoshooting findet in einer fahrenden
U-Bahn (inkl. unbeteiligter Mitfahrender)
statt.
B: Das Fotoshooting findet vor dem Kölner Dom
statt.
C: Unbeteiligte sehen das Foto (unabhängig
vom Ort der Aufnahme) später auf Instagram.
Diese drei Situationen unterscheiden sich in
mehreren entscheidenden Aspekten:
Wie lange sind Unbeteiligte der Situation
ausgesetzt?
In Fall C haben die Betrachter*innen auf Instagram die volle Kontrolle über die Dauer der Exposition – ein Wischen genügt, um das Bild zu überspringen. In Fall B, vor dem Kölner Dom, hängt die Dauer von der Verweildauer der Passant*innen ab, meist also nur wenige Minuten. Anders ist es in Fall A: Hier befinden sich die Unbeteiligten in einer fahrenden U-Bahn, in der sie über die gesamte Fahrtzeit hinweg der Situation ausgesetzt sein könnten, ohne die Möglichkeit, einfach auszusteigen. Wie leicht können sich Unbeteiligte der Situation entziehen? In Fall C ist die Fluchtmöglichkeit am größten: Mit einem Klick kann das Bild übersprungen oder der Account blockiert werden. In Fall B ist das Verlassen der Situation etwas aufwändiger, aber immer noch möglich – schließlich handelt es sich um einen großen, offenen Platz, an dem man sich wegdrehen oder weitergehen kann. Fall A ist hier am problematischsten: In der beengten Umgebung einer U-Bahn ist es kaum möglich, der Situation auszuweichen, und ein Aussteigen ist mit Verlust an Zeit und Komfort verbunden. Wie nah dran sind die Unbeteiligten? In Fall C besteht keinerlei physischer Kontakt: Die Fotos werden digital konsumiert, und jede/r bleibt in der eigenen Privatsphäre. In Fall B kann der Abstand größer oder kleiner sein, je nachdem, wo die Passant*innen sich befinden – niemand wird gezwungen, direkt in der Nähe zu bleiben. In Fall A hingegen sind die Menschen unmittelbar und körperlich nah am Geschehen, was die Situation besonders intensiv und potenziell unangenehm macht
Wie sexuell ist die Situation?
Auch wenn keine konkreten sexuellen Handlungen stattfinden, hängt die Wahrnehmung des
Ausmaßes an Sexualität vom Empfinden der
einzelnen Person ab. Und diese Empfindungen
sind legitim. Je beengter, je länger und je
schwieriger die Fluchtmöglichkeit ist, umso
niedriger liegt meiner Meinung nach die Schwelle
dessen, was als sexuell empfunden wird, da der
enge Raum und der fehlende Ausweg die
Intensität der Situation verstärken.
Für mich persönlich gilt: Je länger Menschen mir
ausgesetzt wären, je schwerer es ist, sich der
Situation zu entziehen, je näher Unbeteiligte dran
sind und je sexueller die Inszenierung wirkt, desto
klarer ist für mich, dass ich das Risiko, die
Privatsphäre und den Konsens anderer zu
verletzen, nicht eingehen würde.
Vielleicht fragt ihr euch, wie ich auf das Beispiel
mit dem Fotoshooting in einer fahrenden U-Bahn
gekommen bin? Solche Shoots sind tatsächlich
schon passiert – zum Beispiel in Berlin, einer
Stadt, die für ihre Offenheit bekannt ist.
Doch genau hier stellt sich für mich die Frage: Ist das
zu aufdringlich? Die Wahl des Ortes inkl.
regionaler oder kultureller Nuancen ist entschei-
dend – und das gilt nicht nur für Latex, sondern
auch für andere Ausdrucksformen wie Shibari.
Für mich ist entscheidend, dass die Balance
zwischen persönlichem Ausdruck und Rücksicht
auf Unbeteiligte gewahrt bleibt. Genau deshalb
habe ich mich bei meinen non-sexuellen
Fessel-Shootings bewusst für Orte entschieden,
die zwar öffentlich einsehbar und frequentiert
waren, aber wo keine anderen Menschen lange
verweilten. Die Reaktionen von Unbeteiligten
waren bisher, wenn überhaupt, gelassen,
neugierig oder interessiert. Ich denke, das lässt
sich auf Latex übertragen.
Denn egal, ob Latex-Catsuit in der Sauna oder
Fotoshooting in der U-Bahn – die Frage bleibt:
Wie
viel können wir von der Öffentlichkeit erwarten,
und wie viel Verantwortung tragen wir selbst? Am
Ende würden wir uns beim Saunabesuch für
einen Latex-beschichteten Badeanzug entschei-
den. Warum? Weil Kompromisse manchmal gar
nicht so schlimm sind. Sie können auch Türen
öffnen – zu mehr Verständnis, Respekt und einer
toleranteren Gesellschaft. Natürlich gibt es dabei
Herausforderungen: Missverständnisse oder
unbeabsichtigte Grenzüberschreitungen können
passieren. Doch ebenso können sich daraus
Chancen ergeben – wie ein interessierter
Austausch oder sogar ein neugieriges Gespräch
mit Fremden.
Ehrlich gesagt denke ich an diese Gespräche mit
Fremden über Latex oder Shibari immer noch
sehr gern zurück. Ich bin gespannt auf unsere
Erfahrung in der Sauna. Wer weiß: Vielleicht
begegnen wir ja dort einer Person, die an Latex
interessiert, aber unerfahren ist, und so ihre
ersten Kontakte in die Community knüpfen kann?
Was sind eure Erfahrungen, und wie wägt ihr
ab? Lasst uns auf der Website des Marquis
Magazines gern euren Kommentar dazu da.
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